Savonlinna - Sonntag, 16. September 2001, Nr. 253, B 4 - 7,00 Mk  

Das Finnland-Phänomen

Die sonnigen Strände des Südens haben so manchen Provinzler bezau-
bert. Der eine fliegt jeden Winter zu den Kanaren, und der andere hat sein Paradies in Thailand gefunden. Auch unser nördliches Heimatland Finnland kann in den Augen eines Ausländers als Traumland erscheinen.


Das Land der Träume kann näher sein als du ahnst.

Mikka Häkkinen
Mika Häkkinen weckte bei vielen das Interesse an Finnland.
Foto: Jussi Nukari
Tausende Mitteleuropäer verbindet die Liebe zu Finnland. Auf eine Telepostbefragung von Nutzern einer Finnland betreffenden Seite im Internet antworteten über hundert: Bankbeamte, Gärtner, Lehrer, Geschäftsleute und Schüler.

Das Finnland-Phänomen ist eine Krankheit, die jeden befallen kann, unabhängig von der gesellschaftlichen Stellung, dem Alter oder dem Geschlecht. Die pathologischsten Finnlandfans drücken abends die Bänke der Volkshochschule in Finnischkursen, reisen jeden Sommer in den Ferien nach Finnland und träumen von einem Umzug nach dort.

"Die Finnen sind friedlich, aber direkt. Sie verzetteln sich nicht krampfhaft in Kleinigkeiten".

Die karge Natur des Nordens entlockt den Finnlandfreunden poetische Ergüsse. Auch die Charaktereigenschaft des nördlichen Volkes entzückt: die Finnen werden charakterisiert als unkompliziert, offen und friedlich.


Die finnische Landschaft bezaubert und entzückt mit ihrer Schönheit, Sauberkeit und Friedlichkeit.
Foto: Markku Tissarinen
Die Liebe zu Finnland entzündet sich häufig an einem persönlichen Erlebnis oder der Freundschaft mit einem Finnen. Das Finnlandfieber wütet unter anderem unter Hochzeitsreisenden.
Der Charakter des Wacholdervolkes kann jedoch widersprüchlich sein, denn etliche schildern die Finnen als schweigsame Menschen, zu denen man schwer Kontakt bekommt.

Nach meiner ersten Finnlandreise beschloss ich, meine Flitterwochen in Finnland zu verbringen, falls ich einmal heiraten sollte. Als es so weit war, musste ich meine ganze Überredungskunst aufbringen, um meine künftige Frau davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee wäre, sich zu zweit in die Wälder Finnlands zurückzuziehen. Darauf ergriff meine Frau die Initiative zu den Reisen, und jetzt wollen meine Kinder immer wieder nach Finnland (47-jähriger Mann).

Die Finnlandbegeisterung vieler wurde entzündet durch Mika Häkkinens Fahrkünste oder Janne Ahonens sportliche Eleganz. Auch die finnischen Bands wie HIM, Anssi Kela, Ultra Bra und Zen Café, finden in Mitteleuropa ihren Widerhall.

"Die Finnen sind überrascht und erstaunt darüber, dass nach der Meinung anderer ihr Land und Volk interessant sein können".

Sauna, Sommerhäuschen, Tanz in Freien, Mittsommer und Grillwurst prägen sich unvergesslich ein. Für Finnlandfans gibt es kein besseres Ferienland als Finnland, das Paradies eines naturnahen Lebens.

Eine deutsche Frau, die viele Male in Finnland Ferien gemacht hat, hat jedoch zu ihrer Verwunderung bemerkt, dass nicht alle Finnen total überzeugt von Ferien im eigenen Land sind.

An unserem letzten Reisetag saßen wir in einer Ravintola. Einige Jugendliche kamen und fragten, warum wir nach Finnland gekommen seien. Als wir sagten, dass wir hier unsere Ferien verbrächten, schauten sie uns überrascht an. Sie wollten nicht glauben, dass jemand seinen Urlaub freiwillig in Finnland verbringt.


Sauna und Birkenbüschel. Wesentliche Dinge, die mit dem Finnlandbild verbunden sind.
Foto: Teuvo Karjalainen
Auch Kleinigkeiten können auf einen Gast einen guten Eindruck machen. Auf dem Markt von Lappeenranta war ich erstaunt darüber, dass die Verkäufer uns von allen Produkten kosten ließen. Das war angenehm, wunderte sich ein österreichischer Student.

Der größte Teil der Befragten preist die Finnen als überaus gastfreundliches Volk. So auch dieser deutsche Befragte: Wir baten, am äußersten Winkel des Bauernhofes zelten zu dürfen. Anfangs verweigerten das die Besitzer, aber als wir schon aufbrechen wollten, kamen sie und sagten, dass Zelten gewiss möglich sei. Zum Schluss luden sie uns auch noch in die Sauna ein.

"Ich möchte in das Land meiner Träume ziehen."

Finnland scheint oft ein idealeres Land zu sein, je weniger der Schreiber Erfahrungen mit dem Alltag hat. Ein 20-jähriger Student war einmal mit dem Auto in Nordfinnland. Er verliebte sich in das Land auf den ersten Blick und beschloss ernsthaft, nach Inari oder Ivalo zu ziehen.
Es gibt keinen anderen Platz auf der Welt, der ebenso eindrucksvoll ist, ebenso natürlich, charakterisiert er seine Empfindungen.

Auch eine dreißigjährige Bielefelderin möchte zum Wohnen nach Finnland kommen. Sie verhält sich jedoch dem Vorhaben gegenüber realistisch. Ich möchte sofort an einen Ort in Finnland ziehen, aber das scheitert am Geld, an der Wohnung, am Beruf und an der Sprache.

Einigen Finnlandfans ist es schon gelungen, ihren Traum vom Wohnen in Finnland zu verwirklichen. Auch wenn die Erfahrungen gut sind, der Alltag bringt in das Idealbild von Finnland realistischere Züge. Eine auf dem Gebiet des ehemaligen Ost-Deutschland beheimatete Frau berichtet:
1997 beschloss ich für einige Zeit nach Finnland zu ziehen. Ich bekam Arbeit in einem deutschsprachigen Tagesheim. Das Heimweh war jedoch groß und die Sprache zu schwer. Nach anderthalb Jahren kehrte ich nach Hause zurück, aber ich habe immer noch viele Freunde in Finnland.

"Nüchtern sagen die Finnen eigentlich nichts, aber betrunken alles".


Ein Wodka namens Koskenkorva, auch dafür ist Finnland bekannt.
Foto: Yrjö Ruotsalainen
Die finnische "Alkoholkultur" wird allgemein als merkwürdig bezeichnet, amüsant oder wenigstens sonderbar.
Noch vor ein paar Jahren wurden alle Ravintolas und Diskos zur selben Zeit geschlossen. Ich habe niemals so viele Leute auf den nächtlichen Straßen gesehen wie gleich nach der Sperrstunde. Die jüngeren Vertreter der Nation waren stockbesoffen, aber trotz allen Schnapses und Bieres bin ich in Finnland nie in eine Keilerei geraten. (33-jähriger Mann aus Nürnberg).

Eine 17-jährige Gymnasiastin begeistert sich in einem Referat über das finnische Wirtschaftsleben darüber, dass man in Finnland so rasch frische Nachrichten über das Internet bekommt. Auch sie hat dennoch im finnischen Tageslauf merkwürdige Züge bemerkt. Mein Lehrer zeigte ein Dokument über Kreuzfahrten der Finnen nach Tallinn. Das Hauptziel der Fahrten scheint der Erwerb von Alkohol zu sein.

Nach Ansicht einiger ist es merkwürdig, dass die Finnen nicht alle deutschen Sitten und Gewohnheiten verstehen. Ein 44-jähriger Lehrer berichtet von seinen Erfahrungen: Es war interessant zu bemerken, dass die Finnen sich über die deutschen Saunasitten wundern, wie Vorschriften, Gesundheitsgesichtspunkte und Zeitempfehlungen.


Eine Befragte: Wenn man einmal in Finnland war, kehrt man immer wieder dahin zurück. Oder auch nie wieder.
Foto:
Rauno Hietalampi
Merkwürdige Typen sind das Salz der Finnlandreisen. Ein 58-jähriger Hamburger berichtet verwundert, er habe einmal versucht, mit einem finnischen Mitreisenden ein Gespräch im Flugzeug zu führen. Der Mann sagte überhaupt nichts. Es war erst 10 Uhr morgens, aber er trank still ein Fläschchen Rotwein und Gin-Tonic, und gerade vor der Landung in Helsinki begann er überraschend eine lebhafte Unterhaltung.

"Wenn man Petersburg und Helsinki besucht, kann man nicht umhin zu bemerken, dass Finnland ein renoviertes Russland ist".

Der finnische Bekleidungsstil löst sogar bei Finnlandfans gelinde Kritik aus. Der Windjackenstil scheint auf den Ostblock zu deuten. Auch der männliche Lippenbart ist nach Ansicht eines Mitteleuropäers irgendwie eine überholte Tracht.

Ein Finnlandfan bemerkte interessante Phänomene bei der Staatsbahn als Folge der schon früher gescholtenen Fahrkartenreform.
In finnischen Zügen kann man nicht sehen, ob der Sitzplatz reserviert ist. Deshalb kommt es immer wieder zu lustigen Begebenheiten. Ein Reisender hat sein schweres Reisegepäck gerade im Gepäcknetz verstaut und sich ermattet hingesetzt. Bald darauf muss er den Platz wieder räumen für einen, der einen Sitzplatz gelöst hat.

Dass die Wahrheit nicht vergessen werde.

Die Finnlandfans sind in Mitteleuropa eine begeisterte, aber kleine Minderheit. Viele der Befragten bedauern es, dass ihre Landsleute eine völlig falsche Vorstellung von Finnland haben. Diese Ignoranten glauben, dass Finnland langweilig, kalt und weit weg ist.

Eine Befragte fasste das Phänomen in die Worte zusammen: Wenn man einmal in Finnland war, kehrt man immer wieder dahin zurück. Oder auch nie wieder.

Soile Luhtanen

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© Sanomalehti Itä-Savo

Sonntag, 16. September 2001
KOMMENTAR

Eigenes Heim
ist eigenes Heim


Wenn man den Lauf der Welt verfolgt, ist man doch manchmal ganz zufrieden, dass man zufällig in einem kleinen nördlichen Land wohnt, welches Terroristen nicht gerade interessiert und wohl auch sonst keinen.

Vor ein paar Wochen war ich jedoch überrascht, als ich feststellen konnte, dass man von der Schönheit unseres Landes auch in der Welt weiß. Ich vertiefte mich zufällig im Internet in die deutsch-
sprachigen Seiten, auf denen ein umfangreiches Wissenspaket über Finnland zusammenge-
stellt war. In das Gäste-
buch waren von Finnland-
enthusiasten eingetragen Liebeserklärungen an das Land mit schöner Natur, wo rechtschaffene und friedliche Menschen wohnen.

Als Verfasser der Seiten entpuppte sich der in Leverkusen in Deutsch-
land wohnende Lehrer und Kommunalpolitiker Bernhard Marewski. Er hat neben seinen kommu-
nalpolitischen Verpflich-
tungen immer noch Zeit für wichtigere Beschäf-
tigungen: für Paddeln und für Finnland, und am allerliebsten zum Paddeln in Finnland.

Ich unternahm mit Bern-
hard Marewskis Hilfe per Telepost eine Befragung der Nutzer der deutsch-
sprachigen Finnland-
Nachrichten. Ich fragte, warum sie sich für Finn-
land interessieren, wie-
viele Male sie schon in Finnland waren und welche - vielleicht auch lustigen Züge - sie an der finnischen Kultur fest-
gestellt haben.

Für einen Zeitungsartikel hätte ich wenigstens über zehn Geschichten benö-
tigt, ich aber kriegte solche in rund zwei Wochen an die hundert; manche träumten erst von einer Finnlandreise, und manche hatten es schon zehn Mal besucht. Einige hatten eine finni-
sche Mutter oder einen finnischen Ehegatten.

In Finnland hört man oft Klagen darüber, dass die Kinder so schlecht erzogen seien und das Leben zu hektisch. Für mitteleuropäische Augen ist Finnland noch ein trautes Heim. Mancher von den Befragten wunderte sich, dass es in Finnland noch die Erziehung der guten alten Zeit gibt und ein Leben ohne Hektik.

Es ist wohl so, dass wenigstens bei kurzen Ferienaufenthalten jedes Land seine sonnigste Seite zeigt, weshalb die Auffassung der Finnland-
fans von unserem Land nicht völlig der Wahrheit entspricht, aber auch die Kenntnisse vieler Finnen vom Alltag eines Ferien-
zieles am Mittelmeer sind kaum realistischer.

Dennoch ist in den Lob-
preisungen der Finnland-
fans auch ein Körnchen Wahrheit. Ruhe, Sauber-
keit und Natur sind Werte, die unabhängig von den Börsenkursen sind. Lasst uns das Traumland namens Finnland mit Sorgfalt hüten. Ein Land, das in der Welt viele Freunde hat.

Übersetzungen:
Günter Thiele, Langenfeld

  © Soile Luhtanen
  & Bernhard Marewski

auf Finnisch
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Vorwort
Die Umfrage
Der Beginn
der Liebe
Was soll man
in Finnland tun?
Finnische Sitten
Eigenartigkeiten
Kultur ...
Erfahrungen
aus Finnland
Zeitungsartikel
in ITÄ-SAVO
16.09.2001