www.finland.de/silta» Zurück
F.A.Z. - 21.12.2004

Wir sind nicht in Finnland
Kommentar

Von Lisa Uphoff

Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, möchte man derzeit so manchem wahren oder selbsternannten Bildungsexperten zurufen. Mit ungeheurer Penetranz werden nach Pisa II in Hessen Parallelen zwischen Deutschland und Finnland gezogen, wo eigentlich Divergenz herrscht. Tatsache ist: Finnische Schüler schneiden bei Leistungstests besser ab als ihre deutschen Altersgenossen. Daraus Rückschlüsse auf die Qualität des jeweiligen Schulsystems zu ziehen ist ebenso unzulässig, wie die extrem unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu ignorieren.

Der Ausländeranteil in Deutschland liegt durchschnittlich bei 8,9 Prozent, in Finnland bei 2 Prozent. Während in Deutschland gerade viele ausländische Kinder nie einen Kindergarten von innen sehen, gibt es für "Risikogruppen" in Finnland die Pflicht, vom zweiten Jahr an einen Kindergarten zu besuchen. Die pekuniäre Bildungspyramide ist in beiden Staaten konträr aufgebaut: In Deutschland werden für einen Schüler im Primarbereich pro Jahr 4237 Euro und im SekundarbereichI 9223 Euro ausgegeben. In Finnland sind es 6295 Euro in der Primar- und 6628 Euro in der SekundarstufeI. Durch ihre Budgethoheit haben finnische Schulen die Möglichkeit, Assistenten für besondere Aufgaben einzustellen, unter anderen Sozialtherapeuten oder Logopäden. Anders als immer wieder behauptet, werden finnische Schüler keineswegs permanent in homogenen Gruppen unterrichtet. Spezielle Förderlehrer sind für leistungsschwächere Kinder in separaten Gruppen zuständig. Die finnische Schule ist ein Produkt geographischer und ökonomischer Voraussetzungen. Bei nur rund 5 Millionen Einwohnern könnte in vielen Gegenden Finnlands das dreigliedrige Schulsystem "mangels Masse" gar nicht betrieben werden oder wäre zu teuer. Durch die großen Entfernungen muß die Schule natürlich auch am Nachmittag Angebote machen, während in Deutschland Schüler nachmittags nur ein paar Straßen weiter in den Sportverein oder die Musikschule gehen können.

Diese Unterschiede ignorieren hieße auch mögliche Lösungsansätze vernachlässigen: Gerade Schulassistenten und Förderlehrer würden Pädagogen enorm entlasten, so daß sie sich wieder auf das "Kerngeschäft Unterricht" konzentrieren könnten. Eine Aufstockung der Finanzen für den Grundschulbereich und ein verpflichtendes, kostenloses Kindergartenjahr wären weitere Notwendigkeiten der oft beschworenen Frühförderung. Vielleicht würden dann in Deutschland bei Leistungstests nach einigen Jahren "finnische Verhältnisse" herrschen.

www.finland.de/pisa-studie Seite ausdrucken Seite drucken

« Zurück
Bitte hier klicken, wenn Sie nur ein Frame sehen.
Bildung in Finnland