|
Zacharias Topelius
(1818 - 1898)
Weihnachten bei den Trollen
In dem kleinen, hübschen Eckhause dort an der Straße waren die Fenster am Weihnachtsabend hell erleuchtet. Dort stand ein großer Weihnachtsbaum mit schönen Sternen und Süßigkeiten und Äpfeln, auf dem Tische brannten die Leuchter, und jedes Mal, wenn etwas auf dem Flur raschelte oder polterte, gerieten die Kinder in große Aufregung.

Plötzlich erschien dann auch der Weihnachtsmann und fragte wie gewöhnlich, ob alle Kinder artig gewesen seien. Alle antworteten wie aus einem Munde: "Ja!"

"So?", fragte der Weihnachtsmann. "Sind alle Kinder artig gewesen? Dann sollen sie auch Geschenke bekommen. Aber das will ich euch sagen, dieses Jahr habe ich nur halb so viele Geschenke als voriges Mal."

"Warum denn?", fragten die Kinder.

"Das will ich euch sagen", antwortete der Weihnachtsmann. "Ich komme vom hohen Norden, da habe ich bei manchem armen Häuschen zur Tür hineingeschaut und habe viele Kinder gesehen, die am Weihnachtsabend kein Stück Brot zu essen hatten. Da habe ich ihnen die Hälfte der Weihnachtsgeschenke gegeben. Ist das nicht gut?"

"Ja, ja, das ist gut, das ist lieb!", riefen die Kinder. Nur Fredrik und Lotta schwiegen still, denn Fredrik hatte sonst beinahe 20 Weihnachtsgeschenke bekommen und Lotta 30. Nun fanden sie, dass sie sich recht schlecht fänden, wenn sie nur halb so viele erhielten.

"Ist das nicht gut?", fragte der Weihnachtsmann zum zweiten Male.

Da drehte sich Fredrik auf den Hacken um und antwortete brummig: "Was ist das dies Jahr für eine schlechte Weihnachtsbescherung. Vom Troll würden wir sicher mehr bekommen als von dir."

Und nun fing auch Lotta an zu schmollen: "Soll ich nur 15 Geschenke haben? Viel, viel mehr würden wir vom Troll zu Weihnachten bekommen."

"So", sagte der Weihnachtsmann, "wollt ihr weiter nichts, so will ich euch schnell zu ihm führen." Und nun ergriff er Fredrik und Lotta bei der Hand und zog sie mit fort, wie sehr sie sich auch sträubten.

Hast du nicht gesehen - fort ging es durch die Luft. Ehe die Kinder wussten, wie ihnen geschah, standen sie mitten in einem großen Walde im tiefen Schnee. Es war schrecklich kalt, und es schneite so, dass man kaum die hohen Tannen sehen konnte, die rund herum im Dunkeln standen, und ganz in der Nähe hörte man im Walde die Wölfe heulen. Aber der Weihnachtsmann, - ja, der war sofort wieder auf und davon, er hatte keine Zeit zu warten, er musste heute Abend noch zu so vielen Kindern hineingucken, die artiger als Fredrik und Lotta waren.

Beide Kinder fingen an zu schreien und zu weinen, aber je mehr sie schrien, desto näher hörte man das Heulen der Wölfe. "Komm, Lotta", sagte Fredrik, "wir wollen sehen, ob wir nicht irgendein Häuschen im Walde finden."

"Ich glaube, ich sehe dahinten zwischen den Bäumen ein Licht", sagte Lotta. "Lass uns dahin gehen."

"Das ist kein Licht", antwortete Fredrik, "das sind nur Eiszapfen, die im Dunkeln an den Zweigen glitzern."

"Ich glaube, vor uns liegt ein großer Berg", sagte Lotta. "Ob das wohl der Rastekais ist, nach dem Sampo Lappelill in der Weihnachtsnacht auf einem Meisterwolf ritt?"

"Wo denkt du hin", antwortete Fredrik, "der Rastekais liegt wohl siebzig Meilen von unserm Heim entfernt. Komm, lass uns auf den Berg steigen, da können wir besser Umschau halten!"

Gesagt, getan. Sie kletterten durch die hohen Schneewehen, über Bäche und gefällte Bäume und gelangten nach einer Weile auf den Berg. Da sahen sie eine kleine Tür, und durch die Spalte schimmerte ein Lichtschein. Fredrik und Lotta gingen dem Scheine nach, und bald darauf merkten sie zu ihrem großen Entsetzen, dass der Berg doch der Rastekais war und dass sie sich bei dem Trolle befanden. Aber jetzt war es zu spät umzukehren, außerdem waren die Wölfe so dicht hinter ihnen, dass sie fast zur Tür hineinguckten.

Fredrik und Lotta blieben vor Schrecken gleich bei der Tür stehen; sie befanden sich vor einem großen Saale, in dem die Trolle Weihnachten feierten. Es waren wohl viele tausend Trolle, aber alle ganz klein, kaum einen Spann hoch, und alle waren sie grau gekleidet und hatten flinke Bewegungen und runzelige Gesichter, gerade wie es im Märchen von Sampo Lappelill zu lesen steht.

Es gruselte ihnen nicht, den Trollen, denn anstatt Lichter hatten sie erfrorene Glühwürmchen und verfaulte Holzstücke, die im Dunkeln leuchteten. Wenn sie aber große Illumination haben wollten, dass strichen sie über den Rücken einer langen, schwarzen Katze, dass sie Funken knisterten, aber dann riefen viele von ihnen: "Nein! Halt! Es wird viel zu hell, das kann keiner aushalten!" Denn es ist eine Eigentümlichkeit der Trolle, dass sie das Licht scheuen und sich fürchten, wenn jemand sie so sieht, wie sie in Wirklichkeit sind. Darum feierten die Trolle ein großes Fest, denn sie merkten, wie die Tage jetzt am Ende des Jahre immer kürzer wurden und die Nächte immer länger.

Und jetzt glaubten die Trolle wieder wie alle Weihnachten, - denn das, was man am liebsten möchte, glaubt man ja so gern, - dass es endlich gar kein Tag mehr sein werde, sondern nur noch Nacht, und darüber freuten sie sich so sehr, dass sie im Innern des Berges tanzten und so auf ihre Weise Weihnachten lustig feierten, denn sie waren ja Heiden und wussten nichts von einem besseren Weihnachtsfeste.

Man konnte wohl merken, dass es den Trollen nicht zu kalt war. Trotz der kalten Winternacht traktierten sie einander mit Eiskonfekt, und ehe sie die Eisstückchen in den Mund nahmen, pusteten sie darauf, damit sie nicht zu heiß wären. Die traktierten sich auch mit anderen schönen Sachen aus Schlangenhäuten und Spinnenbeinen. Einen Weihnachtsbaum hatten sie aus Eiskristallen, und einer der kleinen Hutzelmännchen stellte den Weihnachtsmann dar.

Der riesengroße, grimmige Bergkönig war dieses Jahr nicht bei den Trollen. Keiner wusste, was aus ihm geworden sei. Viele meinten, er sei nach Spitzbergen gezogen, um ein heidnisches Land zu regieren und um so weit wie möglich von den Christenmenschen entfernt zu sein. Sein Reich Rastekais hatte er dem König der Finsternis und des Bösen übergeben.

Es war der Troll, der in der Mitte des großen Saales saß und "Mundus" hieß. Ihm zur Seite saß die Trollkönigin, die "Karo" hieß (obwohl es wie ein Hundename klingt). Alle beide hatten lange Bärte. Gleich anderen Leuten machten sie sich auch gegenseitig Weihnachtsgeschenke. König Mundus schenkte der Königin ein Paar Stelzen. Stieg sie auf diese Stelzen, so war sie die höchste und vornehmste Frau der ganzen Welt. Die Königin Karo schenkte dem König Mundus eine Lichtschere, die so unglaublich groß war, dass er alle Lichter der ganzen Welt damit putzen konnte, und sowie er sie putzte, so erloschen sie sofort. So eine Lichtschere möchte wohl mancher gern vom Troll zu Weihnachten bekommen!

Jetzt erhob sich der König Mundus von seinem Thron und hielt den versammelten Trollen eine recht hochmütige Rede, in der er ihnen erklärte, dass es jetzt bald mit allem Licht ein Ende haben werde. Dann würden die Schatten der Finsternis ewig über das Land fallen, und die Trolle würden das Land regieren.

Da entstand unter den Trollen ein lautes Rufen: "Hurra! Hurra! Hoch lebe unser großer König Mundus, hoch lebe unsere schöne Königin Karo! Hoch die Herrschaft der Finsternis und des Bösen! Hurra!"

Der König sagte: "Wo ist mein Oberspäher, den ich auf die höchste Bergspitze geschickt habe, dass er Ausschau hielte, ob es in der Welt noch einen Lichtschein gäbe!"

Der Späher kam und sagte: "Herr König, deine Macht ist groß. Alles ist dunkel!"

Wieder nach einer Weile fragte der König: "Wo ist mein Späher?" Und der Späher kam.

"Herr König," sagte er, "ich sehe ganz fern am Himmelsrande ein ganz kleines Licht, gleich dem funkelnden Scheine eines Sternes, wenn der hinter einer schwarzen Wolke hervortritt."

Und der König sagte: "Gehe nach der Bergspitze zurück!"

Wieder nach einer Weile fragt der König: "Wo ist mein Späher?" Und der Späher kam. Doch da merkte der König, dass der Späher zitterte und ganz geblendet war.
 Der König fragte: "Mein treuer Späher, warum zitterst du? Und wovon bist du geblendet worden?"

Der Späher sagte: "Herr König, die Wolken sind vergangen, und ein Stern, größer und klarer als alle anderen, strahlt am Himmel. Darum zittere ich, und der helle Schein machte mich blind."

Der König sprach: "Was soll das heißen? Ist das Licht nicht vergangen, und ist die Herrschaft der Finsternis nicht ewig?"

Aber alle Trolle standen stumm und bebend in der Runde, und keiner gab Antwort. Endlich sagte einer von ihnen: "Herr König, hier an der Tür stehen zwei Menschen. Lass uns die fragen, vielleicht wissen die mehr als wir."

Der König sagte: "Rufet die Kinder her!"

Sofort brachte man Fredrik und Lotta vor den Thron des Königs, und man kann sich denken, wie sie sich nun fürchteten.

Die Königin sah, wie sehr sie sich ängstigten, und sagte zu einer alten Zwergin, die beim Throne stand: "Gib den Kindern etwas Drachenblut und einige Käferflügel, damit sie sich etwas stärken und zu sprechen vermögen!"

"Esst und trinkt! Esst und trinkt!", sagte die alte Trollin. Aber dazu hatten die Kinder gar keine Lust.

Der König fragte: "Jetzt seid ihr hier in meiner Gewalt, und ich habe Macht, euch in Krähen oder Spinnen zu verwandeln. Aber ich will euch ein Rätsel aufgeben, und wenn ihr das Rätsel lösen könnt, will ich euch unbeschadet wieder nach Hause bringen. Wollt ihr das?"

"Ja", sagten die Kinder.

"Nun, wohlan", sagte der König. "Was hat es zu bedeuten, dass mitten in der dunkelsten Nacht des Jahres ein Licht aufgeht, wenn alles Licht vergangen ist, wenn die Finsternis und die Trolle die Welt regieren? Fern im Osten erscheint ein Stern, der alle anderen Sterne überstrahlt und meiner Macht den Untergang droht. Sagt mir, Kinder, was das bedeutet?"

Lotta sagte: "Das ist der Stern, der in der Weihnachtsnacht über Bethlehem im jüdischen Lande aufgeht und über alle Welt leuchtet."

Der König fragte: "Warum leuchtet er so?"

Fredrik sagte: "Weil in dieser Nacht unser Heiland geboren ist, und er ist das Licht, das die Welt erleuchtet. Von tiefer Nacht an nimmt das Licht wieder zu, und alle Tage werden wieder länger."

Der König begann auf seinem Throne heftig zu zittern und sagte aufs Neue: "Wie heißt der König und Herr des Lichts, der heute Nacht geboren und gekommen ist, die Welt von der Nacht der Finsternis zu erlösen?"

Beide Kinder antworteten: "Jesus Christus, Gottes Sohn!"

Kaum hatten sie das gesagt, als der ganze Berg zu schwanken und zu zittern begann und zusammenstürzte. Ein Sturmwind fuhr durch den großen Saal und warf den Königsthron um, und der Stern leuchtete in die dunkelsten Schluchten, und alle Trolle vergingen in Schatten und Rauch, bis nichts mehr übrig war, als der Weihnachtsbaum aus Eis, und der begann zu glitzern und zu schmelzen, und hoch in der Luft erklangen die Engelstimmen wie Harfen.

Aber die Kinder bedeckten ihr Angesicht mit den Händen, sie wagten nicht aufzusehen, und es überkam sie der Schlaf, sie waren so müde und wussten nichts mehr von allem, was sich im Berge zutrug.

Als sie erwachten, lagen sie beide in ihren Betten, das Feuer brannte im Ofen, und die alte Kaysa, die sie immer zu wecken pflegte, stand neben den Betten und sagte: "Macht schnell, dass ihr herauskommt, sonst wird es zu spät zur Kirche!"

Fredrik und Lotta richteten sich auf und sahen Kaysa misstrauisch an, ob sie auch keinen Bart habe und ihnen Drachenblut und Käferflügel anbieten wolle. Aber anstatt dessen merkten sie, dass der Kaffeetisch schon fertig gedeckt stand, denn am Weihnachtsmorgen bekamen alle Kinder Kaffee - wenn sie es auch sonst nicht gewohnt waren - und frische Weihnachtswecken.

Und draußen hörte man die Schlittenglocken klingeln, die Leute fuhren in langen Zügen zur Kirche, und Licht glänzte aus allen Häusern, aber am hellsten von allen erstrahlte die Kirche.

Fredrik und Lotta sahen einander an und wagten es nicht, Kaysa zu erzählen, dass sie beim Weihnachtsfeste der Trolle gewesen seien. Vielleicht hätte sie es ihnen nicht geglaubt, hätte gelacht und gesagt, dass sie die ganze Nacht in ihren Betten geschlafen hätten. Du weißt es nicht, und ich weiß es nicht, und es weiß keiner genau, wie es eigentlich war. Aber wenn du es weißt, und wenn ich es weiß, dann tun wir, als ob wir es nicht wüssten, und wenn keiner es weiß, so weiß auch keiner, ob du es weißt und ob ich es weiß. Und jetzt weißt du, was ich weiß, weil ich gar nichts weiß, und nun möchte ich gern wissen, was du weißt, und ob du mehr weißt, als ich weiß.

Eins weiß ich, und das ist, dass unzufriedene Kinder früher oder später alle zum Trolle kommen. Da gibt es Eisstücke, Drachenblut und Käferflügel an Stelle der guten Sachen, die sie zu Hause verschmähten.

Fredrik und Lotta haben das Weihnachtsfest bei den Trollen nie vergessen können. Nicht nur, weil sie um alle Weihnachtsgeschenke kamen. Sie schämten sich vor sich selber, ja, die schämten sich so, dass sie am Weihnachtsmorgen in der Kirche nicht aufzusehen wagten. Dort war es hell und herrlich, Bethlehems Stern war herabgekommen und hatte alle Lichter angezündet und strahlte in den frohen Augen aller guten Kinder. Fredrik und Lotta merkten es wohl, wagten aber nicht aufzusehen. Sie nahmen sich auch vor, gute Kinder zu werden.

Haben sie ihr Versprechen wohl gehalten? Ich weiß es nicht, - aber glauben tue ich es. Wenn du sie triffst, kannst du sie ja fragen!

Aus:
Zachris Topelius, Neue finnländische Märchen,
aus dem Schwedischen von Ilse Meyer-Lüne, H. Haessel Verlag, Leipzig 1923

Zacharias Topelius, auch Zachris Topelius
* 14. Januar 1818 auf Kuddnäs Gård bei Nykarleby, † 12. März 1898 in Björkudden/Sipoo
 |