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Kölner Stadt-Anzeiger, 03.01.2007

Was ist guter Unterricht?

Lehrer sind "Kerzen des Volkes":
Sie sollen leuchten und wärmen


Gastbeitrag von Michael Felten

Die Geschichte der Lerntheorien ist ein bunter Reigen aus Fortschritten und Irrtümern. Der Nürnberger Trichter etwa, heute beliebte Metapher für ein überholtes, weil passives Bild vom Lernen, hatte in der Zeit um 1600 etwas durchaus Aufklärerisches: dass es nämlich möglich sei, auch dem Dümmsten Wissen "einzutrichtern". Umgekehrt hat die Begeisterung für offene Unterrichtsformen und weitgehende Selbständigkeit beim Lernen jüngst einen herben Dämpfer erfahren: Von dieser Methodik profitieren nämlich vor allem leistungsstarke Mittelschichtkinder, schwächere Schüler hingegen verstört sie eher.

Entgegen landläufiger Meinung erlauben die (inter-)nationalen Leistungsvergleiche, die beinahe im
Leistungstests sind so aussagekräftig wie das Storchennest auf dem Dach, unter dem ein Baby schreit
Jahrestakt auf uns niedergehen, keine schnellen Rückschlüsse auf lernförderliche Bedingungen. Es ist wie mit dem Storchennest auf dem Dach, unter dem ein Baby kräht: Man kann beide Phänomene gleichzeitig beobachten, sie haben aber nichts miteinander zu tun. Entsprechend schwer ist es zu sagen, warum eigentlich finnische Schüler in Europa Spitze sind: Weil sie Gesamtschulen besuchen, oder weil sie dort vorwiegend Frontalunterricht erleben? Weil Filme im Land der tausend Seen häufig nicht synchronisiert sind (also alle schon früh lesen können wollen), oder weil es im hohen Norden so wenig Migranten gibt?

Mittlerweile präsentiert die empirische Unterrichtsforschung indes eine Reihe solider Befunde: Zunächst einmal hängt der Lernzuwachs stärker davon ab, wie gut die Vorkenntnisse sind, als davon, welche Lehrmethode verwendet wird. Und im Unterricht selbst sind weder Dogmatismus noch Beliebigkeit optimal, sondern vielmehr ein sachgemäßer Methoden-Mix. Entscheidend ist, dass sich Schüler möglichst vielfältig und intensiv mit dem Lernstoff beschäftigen, und dass Lehrer jede Gelegenheit nutzen, ihre Schüler zu aktivieren und zu ermutigen.

Im Einzelnen heißt das: Der Unterricht muss vom Lehrer klar strukturiert, anspruchsvoll und abwechslungsreich gestaltet sein, er muss störungsarm und nicht gehetzt verlaufen. Nicht zuletzt geht es auch um die richtige Atmosphäre: Fehlerfreundlichkeit lautet etwa eines ihrer (noch nicht allzu verbreiteten) Merkmale - was nicht bedeutet, jede Gedankenlosigkeit zu beklatschen, sondern Fehler als Erkenntnisquelle interessant zu finden.

Lehrer sind also weit mehr als nur Moderatoren: nämlich wichtige Steuerungsinstanz ebenso wie unersetzliches Beziehungsgegenüber. Nicht ohne Grund nennt man sie in Finnland nicht "faule Säcke", sondern "Kerzen des Volkes": Sie beleuchten Entwicklungswege - und sie wärmen dabei.

"Guter Unterricht = lehrerzentriert + schülerorientiert" - hätten solch eine Gleichung nicht auch schon die Großväter formulieren können? Ja - und doch nein. Tatsächlich ist nach 68 manches
Der gute Lehrer ist freundlich, dialogisch und differenziert - aber eben auch entschieden und selbstbewusst
didaktische Kind mit dem antiautoritären Bade ausgeschüttet worden; heute muss man sich mühsam seiner erinnern. Aber dies geschieht unter quasi entstaubten Bedingungen: Heute müssen wir uns den guten Lehrer freundlich, dialogisch und differenziert vorstellen - aber eben auch entschieden und selbstbewusst. Allerdings bleiben Äpfel und Birnen zu unterscheiden: Was in einem Fach besonders förderlich ist, kann im anderen eine untergeordnete Rolle spielen. So kommt es im Englischunterricht - anders als etwa in Mathe - weniger auf klare Strukturierung oder hinreichend komplexe Lehrerfragen an, sondern vor allem auf einen hohen Sprechanteil der Schüler.

Und auch weiterhin gilt es, in der Methodenfrage die Spreu vom Weizen zu trennen. Schülerorientierung bedeutet gewiss auch Individualisierung. Leichtlerner haben durchaus ein Recht auf besondere Förderung, Mutlosen gegenüber besteht geradezu die Verpflichtung zu spezifischer
Der Autor Michael Felten, geb. 1951, ist Pädagoge und Publizist. Er hat zahlreiche Bücher zu schulpädagogischen und fachdidaktischen Fragen verfasst. Felten unterrichtet an einem Kölner Gymnasium Mathematik und Kunst
Unterstützung. Aber auch hier muss es heißen: wehe der Maßlosigkeit! Wenn Schüler nur noch ihr persönliches Werkstattblatt bearbeiten und ihre individuellen Hausaufgaben machen würden; wenn sie nicht mehr lernen müssten, sich auseinanderzusetzen und sich dabei in ihrer Vielfalt gegenseitig zu bereichern - dann hätte der Egoismus gegenüber dem Sozialen erheblich an Terrain gewonnen. Schule sollte aber nicht das Abbild eines Raubtier-Kapitalismus sein, sondern möglichst humaner Entwicklungsort.

Deshalb bleibt das Erleben von Resonanz und Kooperation im Unterricht ein Maßstab auch für Lernmethoden.

Literatur:

· Michael Felten: Schule besser meistern. Kinder herausfordern und ermutigen.
Broschiert. 157 Seiten, Herder Verlag


· Michael Felten: Kinder wollen etwas leisten. Wie Eltern und Lehrer sie dabei sinnvoll
unterstützen können. Broschiert. 179 Seiten, Kösel Verlag


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